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Sascha fuhr nicht mehr mit seinem Roller.
26. November
Ich bin mit Sascha zur Blutwertkontrolle zu Dr. Lukaschek gegangen. Es ging ihm gar nicht gut, er war müde und ihm war übel. Die Blutwerte waren etwas gesunken.
Am Freitag 27. November bin ich nach Lengnau gefahren um nach Sascha zu sehen. Er war im Bett musste sich ständig übergeben, er hatte Schmerzen und wie er sagte, hat er schlecht geschlafen da er eine extreme Unruhe spürte.
Als ich ihn so da liegen sah musste ich Weinen, er hatte so dünne Beine bekommen, auch eine Nebenwirkung des Kortisons.
Wir haben ihn dann in die Stube gebettet.
Tags darauf ging es ihm wieder etwas besser.
Wir alle wussten, dass einmal der Tag X kommen würde. Mit jedem Arztbesuch wurde uns bestätigt, dass dieser Tag immer näher und näher rückte. Diese Tatsache und die ständige Frage: „Wie lange noch?" zermürbten.
Er war so tapfer und hat uns mehr Trost und Unterstützung gegeben als wir ihm je geben konnten.
Am Dienstag 1. Dezember sind wir das letzte Mal zu Dr. Lukaschek gefahren um Flüssigkeit zu infundieren da er viel zu wenig trank. Er hat uns dann angeboten, Sascha zur Bestrahlung des Rückens anzumelden.
Ich hatte das Gefühl, dass es mein Herz zerreißen würde. Ich liebte Sascha so sehr und wusste, dass ich ihn gehen lassen musste. Ich habe sehr viel geweint und die Gedanken an den Tod so gut wie möglich zu verdrängen versucht. Doch er war allseits gegenwärtig. Es war für mich so schlimm mit anzusehen, wie sich Saschas Gesundheitszustand von Tag zu Tag verschlechterte und dass nun jeder Tag der Letzte sein konnte.
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Nur zu Besuch
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Am Donnerstagabend, 3. Dezember haben wir uns noch darüber Unterhalten ob die Bestrahlung noch Sinn machen würde.
Am Freitagmorgen machte ich mich bereit um mit Sascha nach Aarau zu fahren. Edi versuchte ein Krankenbett zu bekommen da Sascha mit dem verstellbaren Kopfteil besser Trinken konnte.
Wir haben an diesem Morgen zusammen mit Sascha über den Sinn oder Unsinn der Bestrahlung gesprochen. Keiner von uns wusste, was wirklich das richtige war. So haben wir vorgeschlagen diese auf Montag zu verschieben.
Ich wusste, dass nun der Punkt gekommen war, an dem es nichts mehr nützte alles zu Verdrängen.
Danach überkam Sascha eine innere Ruhe in der er kaum mehr Schmerzen hatte. Da wussten wir, dass wir uns richtig entschieden haben.
So konnten wir am Freitag als auch Paddy zu Hause war Abschied voneinander nehmen und uns auf den Tod vorbereiten.
Er ist erst gegangen, als ich bereit dazu war, ihn gehen zu lassen. Er spürte wohl, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, um dieses Leben hinter sich zu lassen. In diesem Moment verspürte ich eine unglaubliche Dankbarkeit.
Dankbar für unsere gemeinsame Zeit, dafür, dass er so sterben konnte, wie er es sich gewünscht hätte und stolz darauf, was er alles erreicht hatte. Im Moment seines Todes verspürte ich auch eine unglaubliche Erleichterung. Ich sah den Tod als Erlöser, nicht als böser Feind, der mir meinen Sohn wegnahm. Er brachte Sascha in eine Welt, wo er ohne Schmerzen und Sorgen weiter Leben konnte. Hier auf dieser Welt waren wir machtlos und konnten nichts mehr für ihn tun. Ich war bereit, ihn gehen zu lassen, aus Liebe.
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Für mich war es wichtig über den bevorstehenden Tod zu sprechen und ich bin froh das mir jemand zugehört und mir dadurch die Kraft und den Mut gegeben hat nicht aufzugeben.
Doch auf das, was nachher kommen würde, konnte uns niemand vorbereiten. Ich dachte immer in der Zeit vor dem Tod, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Doch es war ein Irrtum.
Es wurde schlimmer. Viel schlimmer.
Ich weiss noch nicht, woher ich die Kraft nehmen soll, das Ganze zu verarbeiten.
Die ersten Tage nach dem Tod erlebte ich wie in Trance. Wie schon lange vorher, konnte ich mich nun auf überhaupt nichts mehr Konzentrieren.
Die Organisation des Arztes, die Bestatter die Saschas Körper abholten und die Benachrichtigung über den Tod hat alles Edi gemacht. Die ganze Vorbereitung für die Abschiedsfeier haben Tanja, Rolf, Nede und Anna mit Edi besprochen um dann alles so herzurichten wie ich es mir nie erträumt hätte.
Ich fühlte mich wie in einem bösen Traum gefangen und wünschte mir nichts sehnlicher als aufzuwachen. Doch es war kein böser Traum sondern bittere Realität.
Das Schlimmste ist nun die ständige Präsenz der Bilder dieser letzen Nacht und die vom Morgen, als ich die Augen öffnete, meine Gedanken die unaufhörlich um Sascha kreisen und so alle andern Gedanken aus meinem Gehirn verdrängen. Und dieses unglaublich schmerzliche Gefühl, nie mehr mit ihm zusammen sein zu können..
Das letzte Jahr war für uns alle unbeschreiblich intensiv. Die Krankheit hat uns so nahe gebracht, absolutes gegenseitiges Vertrauen. Und auf einen Schlag ist alles zerstört. Für mich ging eine Welt unter. Ich habe das Gefühl, dass auch ein Stück von mir gestorben ist.